Gehirnerschütterung: Mythen, Symptome und effektive Maßnahmen
- danielsturmphysio
- 10. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 7 Tagen

Was ist eine Gehirerschütterung?
Eine Gehirnerschütterung ist eine traumatische Hirnverletzung, die durch eine plötzliche, starke Beschleunigung und anschließende abrupte Abbremsung des Gehirns im Schädel entsteht – typischerweise infolge eines Schlags auf den Kopf oder ein starker Aufprall (z. B. beim Sport, Sturz, Unfall). Diese Mechanismus kann zu vorübergehenden Funktionsstörungen der Nervenzellen führen.
Hinweis zur aktuellen Forschungslage: In den letzten Jahren hat sich das Wissen rund um Gehirnerschütterungen stark weiterentwickelt. Viele frühere Empfehlungen – wie etwa vollständige Bettruhe oder absolute Bildschirmvermeidung – gelten heute als überholt. Dennoch sind nicht alle medizinischen Fachkräfte auf dem neuesten Stand der Forschung. Es lohnt sich daher, gezielt nach Expert:innen mit aktueller Fortbildung im Bereich Gehirnerschütterung zu suchen.
Häufige Falschaussagen zur Gehirnerschütterung – und was wirklich stimmt:
„Du warst doch nicht bewusstlos – also war es keine Gehirnerschütterung.“
❌ Falsch.
✅ Auch ohne Bewusstlosigkeit kann eine Gehirnerschütterung vorliegen. Eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit (<30min) kann, muss aber nicht auftreten.
„Das MRT war unauffällig, also ist alles in Ordnung.“
❌ Falsch.
✅ Eine Gehirnerschütterung ist in der Regel eine funktionelle Störung.
CT und MRT dienen dem Ausschluss von knöchernen Verletzungen oder Blutungen, zeigen aber keine chemischen oder funktionellen Veränderungen im Gehirn. Ein unauffälliger Befund schließt eine Gehirnerschütterung nicht aus.
„Am besten machst du gar nichts – absolute Ruhe ist das Wichtigste.“
❌ Veraltet.
✅ Frühere Empfehlungen zur totalen Bettruhe gelten als überholt. Eine anfängliche Ruhephase in den ersten Tagen nach der Gehirnerschütterung ist sinnvoll. Danach wird eine gezielte, stufenweise Aktivierung unter Anleitung von erfahrenen Ärzt:innen oder Therapeut:innen empfohlen – körperlich wie kognitiv, angepasst an die Symptome.
„Nach ein paar Tagen sollte alles wieder gut sein.“
❌ Falsch.
✅ Die Beschwerden nach einer Gehirnerschütterung verlaufen sehr unterschiedlich. Bei einem Großteil der Betroffenen klingen die Symptome nach 7 bis 14 Tagen, Kinder nach 2 bis 4 Wochen, langsam ab. Die Erholungsdauer und das Outcome hängen u. a. von Alter, Vorerkrankungen, psychischer Verfassung und der Schwere sowie Häufigkeit der Verletzung ab. Aber auch der Umgang mit der Verletzung spielt eine wichtige Rolle. Wer sich anfangs Zeit gibt und anschließend schrittweise und gezielt wieder aktiv wird, unterstützt die Heilung spürbar.
„Sobald du dich besser fühlst, kannst du wieder mit Sport starten.“
❌ Riskant.
✅ Die Rückkehr zu Sport oder körperlicher Belastung sollte stufenweise und vollständig symptomfrei erfolgen. Eine ausführliche funktionelle Testung (z. B. Gleichgewicht, Visuelle Fähigkeiten, Reaktionsfähigkeit, kognitive Belastbarkeit) ist sinnvoll, um sicherzustellen, dass der Körper und das Gehirn wirklich bereit für den Wiedereinstieg sind.
„Du bildest dir das nur ein – im MRT sieht man ja nichts.“
❌ Fehlendes Verständnis.
✅ Die Symptome einer Gehirnerschütterung sind real und können massiv einschränken – selbst wenn keine sichtbaren Verletzungen vorliegen.
Da eine Gehirnerschütterung bildgebend in der Regel nicht nachweisbar ist, wird die Diagnose anhand der Beschwerden und des Unfallhergangs gestellt. Zu den häufigsten Anzeichen zählen:
Kopfschmerzen
Übelkeit oder Erbrechen
Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen
Konzentrationsprobleme, „Gehirnnebel“
Licht- oder Lärmempfindlichkeit
Verlangsamtes Denken
Sehstörungen (z. B. Doppelbilder, verschwommenes Sehen)
Müdigkeit, Schlafprobleme
Reizbarkeit oder Stimmungsschwankungen
(ggf.) kurze Bewusstlosigkeit oder Erinnerungslücken
💡 Hinweis: Nutze am besten Symptomfragebögen, wie die Post-Concussion-Symptome-Scale, als Ausgangswert und zur Verlaufskontrolle.
Was passiert im Gehirn?
Durch die plötzliche Bewegung des Gehirns im Schädel werden Neurotransmitter freigesetzt und die Ionenverteilung in den Nervenzellen gestört. Es entsteht eine sogenannte „Energiekrise“. Sie führt dazu, dass das Gehirn zwar mehr Energie benötigt, aber weniger bereitstellen kann. Diese metabolische Dysfunktion macht das Gehirn besonders anfällig für Folgeverletzungen.
Sofortmaßnahmen & medizinische Einschätzung (Tag 0–2):
Wachsamkeit in den ersten 2–3 Stunden: Patient*innen wach halten, um mögliche Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen. Danach ist Schlaf in der Regel erlaubt.
Red Flags ernst nehmen: Bei Symptomen wie Krampfanfällen, Bewusstseinsverlust, Sprachstörungen oder Lähmungserscheinungen sofort ärztliche Hilfe aufsuchen.
Leichte Ruhephase: Keine vollständige Bettruhe, sondern moderate Ruhe: Spazierengehen, Lesen oder ruhige Gespräche – solange keine Symptome ausgelöst oder verschärft werden.
Untersuchung bei Spezialist:innen: Suche innerhalb von 24–48 Stunden einen erfahrenen Behandler*in mit Spezialisierung auf Gehirnerschütterungen auf. Studien zeigen: Je früher die richtige Betreuung beginnt, desto schneller die Genesung.
2. Ernährung & Entzündungshemmung (ab Tag 0):
Anti-entzündliche Ernährung: Sofort auf verarbeitete Lebensmittel, Zucker, Gluten, Milchprodukte und mögliche Allergene verzichten. Fokus auf frische Lebensmittel, hochwertige Fette (z. B. Avocado, Nüsse) und Proteine, wenig Kohlehydrate.
Darm-Gehirn-Achse beachten: Nach einer Gehirnerschütterung kann die Darmdurchlässigkeit erhöht sein – eine gesunde Ernährung reduziert systemische Entzündungen und unterstützt die neuronale Heilung.
Unterstützung auf zellulärer Ebene – mögliche Supplemente nach Gehirnerschütterung
Wichtig: Sie ersetzen keine medizinische Behandlung, können aber ergänzend wirken – vor allem im Hinblick auf Energiehaushalt, Zellschutz und neuronale Stabilität.
Magnesium (insb. Magnesium-L-Threonat)
Wirkt beruhigend auf übererregte Nervenzellen
Unterstützt die neuronale Stabilität und kann Symptome wie Reizbarkeit oder Kopfschmerzen lindern
Magnesium-L-Threonat ist eine besondere Form, die nachweislich die Blut-Hirn-Schranke überwindet und direkt im Gehirn wirkt²
Kreatin-Monohydrat
Spielt eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung der Nervenzellen
Kann helfen, den durch die Gehirnerschütterung gestörten Energiehaushalt zu stabilisieren
Besonders relevant bei sportbedingten Traumata und erhöhter Belastung
Exogene Ketone (BHB – Beta-Hydroxybutyrat)
Dienen dem Gehirn als alternative Energiequelle, wenn Glukoseverwertung gestört ist
Können die kognitive Leistungsfähigkeit stabilisieren und die mitochondriale Funktion fördern
Besonders im Frühstadium der Erholung interessant
Coenzym Q10
Unterstützt die Mitochondrien – die „Kraftwerke“ der Zelle
Hat antioxidative Eigenschaften und kann helfen, zellulären Stress zu reduzieren
In Studien bei anderen neurologischen Erkrankungen positiv bewertet
💡 Hinweis: Die Wirksamkeit dieser Substanzen bei Gehirnerschütterung wird aktuell intensiv erforscht – sie sind kein Ersatz für ärztliche Begleitung, können aber als unterstützende Maßnahme sinnvoll sein. Die Einnahme sollte immer individuell geprüft werden, besonders bei Kindern oder bestehenden Erkrankungen.
Aktivierung & Re-Integration (ab Tag 2–3):
Subsymptomatische Belastung: Beginne mit leichten körperlichen und geistigen Aktivitäten, ohne die Symptome zu verschlimmern.
Bildschirmzeit individuell anpassen: Studien zeigen keine klare Schädlichkeit – maßvoller Umgang ist in Ordnung, wenn keine Symptome auftreten.
Gezielte Rehabilitation (ab Tag 5–7):
Treadmill-Test zur Belastungsgrenze: Der Buffalo Concussion Treadmill Test hilft, das sichere Belastungsniveau zu ermitteln.
Rehabilitative Maßnahmen: Frühzeitige Vestibular-, Okulomotorik- und Nacken-Therapien verbessern Gleichgewicht, Orientierung und Haltung – entscheidend für die Rückkehr zur Alltagsfunktion.
Ergebnisse der Forschung: Frühzeitige Reha kann die Genesungswahrscheinlichkeit um das Zehnfache erhöhen¹.
Langzeitfolgen vermeiden: Was ist ein Post-Concussion-Syndrom?
Nicht jede Gehirnerschütterung heilt innerhalb weniger Tage aus. Bei einigen Betroffenen bleiben Beschwerden länger bestehen – in diesen Fällen spricht man vom Post-Concussion-Syndrom oder auch von Prolonged Concussion Symptoms (PCS).
Von einem Post-Concussion-Syndrom spricht man laut ICD-10-Klassifikation, wenn Symptome länger als vier Wochen nach dem Unfall bestehen bleiben.
In der Praxis gelten jedoch oft schon anhaltende Beschwerden über mehrere Wochen als behandlungsbedürftig – insbesondere, wenn sie die Alltagsfunktion spürbar einschränken. Manche Fachquellen setzen die Grenze bei drei Monaten, vor allem bei komplexeren oder mehrfachen Verletzungsverläufen.
Typische Langzeitbeschwerden
Anhaltende Kopfschmerzen
Konzentrations- und Gedächtnisprobleme
Schwindel, Sehstörungen
Müdigkeit, Schlafprobleme
Reizbarkeit, emotionale Instabilität
Was sagt die Forschung?
Studien zeigen klar: Frühzeitige Unterstützung durch gezielte Aktivierung, Ernährung, Therapie und ärztliche Begleitung senkt das Risiko für chronische Verläufe ³.
Fazit:
Gehirnerschütterung erkennen und richtig behandeln
Die richtige Behandlung einer Gehirnerschütterung beginnt mit schnellem Handeln. Wer frühzeitig medizinische Hilfe mit speziellem Fachwissen in Anspruch nimmt, sich bewusst ernährt, maßvoll aktiviert und gezielte Therapien einsetzt, hat beste Chancen auf vollständige Genesung. Prävention von Langzeitfolgen ist möglich – mit Wissen, Struktur und rechtzeitigem Handeln.
Mach's nicht irgendwie. Mach's smart!
Daniel Sturm
Train smart. Reach goals.
Physiotherapeut / Heilpraktiker / Neuroathletik-Trainer
Quellen:
Leddy et al. (2016): Early physical activity and concussion recovery – Journal of Head Trauma Rehabilitation
Slutsky et al. (2010): Enhancement of learning and memory by elevating brain magnesium – Neuron
Silverberg ND & Iverson GL (2013): Is rest after concussion “the best medicine”? – JAMA
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